18 Januar 2006

Die Kunst des Verlierens

Der Borderline-Barde Charles Bukowski ist postum die Kultfigur einer neuen Generation.

Es gibt Generationen, die wollen nicht gehen. Wer in den Sechzigern und Siebzigern - wie man doppeldeutig sagte - "voll" dabei war, irrlichtert heute in der Regel als Zombie durch die Medien. Seit Jahren Gehirntote plappern auf allen Kanälen. Die unermüdlichste Sorte schlurft weiterhin kleidungsfrei oder wenigstens barfuß durch Hollywood. Nur bei Charles "Hank" Bukowski läuft alles anders. Und zwar besser.
..weiter!

via: spiegel.de

09 Januar 2006

Vom Nachttisch geräumt



von Arno Widmann

Nicht einmal Liebe

Gebrauchsanweisungen kann ich nicht lesen. Es gibt viele Gründe dafür. Die meisten sind in einem Idiom geschrieben, das mit der Sprache, die wir sprechen offensichtlich verwandt ist, aber doch nur so entfernt, dass das Mittelhochdeutsche leichter verständlich ist. Aber selbst mit denen, bei denen ich jedes Wort und jeden Satz verstehe, kann ich nichts anfangen. Ich lese sie, aber ich kann sie nicht übersetzen ins wirkliche Leben. Ich lese sie als Text, eben gerade nicht als Gebrauchsanweisung. Ganz ähnlich ergeht es mir - so habe ich jetzt gelernt - auch mit Drehbüchern. Wolfgang Kohlhaases Drehbuch zu Andreas Dresens mehrfach ausgezeichnetem Film "Sommer vorm Balkon" habe ich nicht verstanden. Ich mag die witzigen Wendungen darin, die Einfälle, ich liebe die Melancholie und mich begeistert der skeptische Blick auf das Zusammenleben der Geschlechter, aber ich sehe keinen Film vor mir. Wahrscheinlich muss man Drehbücher lesen lernen. Wie können Schauspieler, Produzenten, Agenten sonst feststellen, welches Drehbuch sie reizt und welches nicht?

Ich mag Kohlhaases frühere Filme. Die meisten, die sie gesehen haben, mögen sie. Ich mag Kohlhaases Erzählungen sehr. Leider sind sie schon lange nicht mehr lieferbar. (Seine Erzählung "Erfindung einer Sprache" ist vor kurzem für 880,- Euro in einer Schmuckkassette mit fünf signierten Originallithographien von Bernhard Heisig in einer Auflage von 100 Exemplaren bei Faber und Faber erschienen und schon vergriffen.) Aber ich bin blind und taub, was dieses Drehbuch angeht. Ein Drehbuch ist offenbar etwas ganz anderes als eine Erzählung. Ganz andere Knöpfe und Schalter unserer Fantasie werden angesprochen. Es gibt ganz offensichtlich die verschiedensten Arten von Lesen. Ob ich Drehbuch-lesen noch lernen kann? Oder sind die dafür bestimmten Zellen wegen mangelnder Nutzung unwiederbringlich abgestorben? Sind die entsprechenden Lernfenster geschlossen?

Dem Drehbuch sind Gespräche beigefügt, die Regine Sylvester mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, mit den Hauptdarstellerinnen Inka Friedrich und Nadja Uhl, mit dem Hauptdarsteller Andreas Schmidt und dem Regisseur Andreas Dresen geführt hat. Es sind kluge Unterhaltungen über "Sommer vorm Balkon", über die Filmerei allgemein und über das vertrackte Verhältnis von Film und Wirklichkeit. Wolfgang Kohlhaases Antwort auf Regine Sylvesters Frage "Stehen Ihnen beim Schreiben Ihre Figuren vor Augen?" erklärt mir ein gut Stück meiner Schwierigkeiten. Offenbar handelt es sich tatsächlich nicht um eine private Marotte, sondern um die notwendige Konsequenz der spezifischen Kunstform des Drehbuchs. Kohlhaases Antwort ist so klar wie er immer ist: "Nein. Es handelt sich immer um Finden und Erfinden. Was ich finde, bindet sich zunächst an die Bezugsperson. Aber man verbessert ja, hoffentlich, was man gefunden hat, durch Erfindung. Zum Finden gehört Gewissenhaftigkeit, zum Erfinden braucht man Mut. Wenn ich etwas erfinde, entsteht eine andere Figur. Aber die stelle ich mir nicht gleich in aller Körperlichkeit vor. Eher Haltungen und Tonlagen. Man kann dann so oder so besetzen." Ecos offenes Kunstwerk - hier ist es.

Andreas Schmidt erzählt von seinem Vater, einem Alkoholiker, bei und von dem er gelernt hat: "Es gibt keine Freunde, keine Verwandten, keine Moral, wenn man so suchtabhängig ist. Nicht einmal Liebe, die der Liebe zur Flasche nicht unterliegt." Von Nadja Uhl finden sich in dem Interview mit ihr wunderbare Aphorismen. So sagt sie über ihre Rolle: "Nike sehnt sich nach Ordnung. Der Bruch ist in ihr drin." Jetzt habe ich den Film gesehen. Er ist großartig. Er ist von einer sanften Schwere, von einer ernsten Leichtigkeit, die man nur selten findet. Es ist der Glücksfall eines ganz und gar jugendlichen Alterswerkes.

Wolfgang Kohlhaase: "Sommer vorm Balkon". Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 188 Seiten, zahlreiche s/w und farbige Abbildungen, 12,95 Euro. ISBN 3746621895. Bestellen.

via perlentaucher.de

04 Januar 2006

Depeche Mode à la Maison

Die Electropopper aus England machen noch ein Album, das nicht so richtig gut ist, aber dann kommt ein Franzose und führt ihre alten Stücke zu neuer Größe

Von Jan Kühnemund



Ach, Depeche Mode und ich: eine dieser Beziehungen, die irgendwann in Enttäuschung enden. Sie waren immer Helden, irgendwann aber ging der Lack ab, seitdem haben sie es schwer bei mir. Exciter – ihr letztes – war kein gutes Album, genaugenommen war keine ihrer drei Platten seit Violator 1990 wirklich klasse. Und Playing the Angel?

Na, ja. Ganz schöne Songs. Der wabernde, verkleisterte Sound von Exciter ist kaum mehr vorhanden, zum Glück. Und auch die selbstmitleidige Attitüde, das Zähe und Lahme der letzten Alben, ist gewichen. Depeche Mode klingen immerhin wieder nach Depeche Mode, beispielsweise Precious und The Pain I’m Used To, die schnelleren Sachen. Sämtliche Balladen hingegen – leider ziemlich viele – sind dick aufgetragen, süßlich und langweilig, wie billige Pralinen. Würde mich nicht wundern, wenn Depeche-Mode-Songs dick machen würden.

Dass es anders geht, zeigen einerseits Depeche Mode selbst – in letzter Zeit veröffentlichen sie Vollkorn-Versionen alter Violator-Songs auf den Rückseiten ihrer Singles. Welchen Reiz solche Reduktion haben kann, zeigt andererseits der Franzose Sylvain Chauveau, der sich mit seinem fünften Album einen Traum erfüllt: Er interpretiert zehn Depeche Mode-Songs aus den Jahren 1984 bis 2001 neu, Down ToThe Bone, nackt bis auf den Knochen.

Beinahe kammermusikalisch dargeboten, vom Bombast befreit, entkernt, tritt die Qualität der Originale zutage. Alle Songs – sogar solche treibenden, düsteren wie Blasphemous Rumours oder Policy of Truth – klingen hervorragend ohne Synthesizer, Drumcomputer und Gahans eindringliche Stimme. Mehr noch, manche scheinen wie geschrieben für eine Interpretation mit Piano, Oboe, Cello oder Flöte.

Immer wieder bricht Monsieur Chauveau die Arrangements durch Disharmonien, Samples und andere technische Spielereien, trotzdem wirkt die Zusammenstellung homogen. Und wenn man sich einmal an seinen französischen Dialekt gewöhnt hat, klingen manche seiner Versionen sogar besser als die Originale, Freelove beispielsweise wird zu einem richtig guten Song.

via:ZEIT.de